PROJEKTBESCHRIEB
FAUST
Beinahe kein Werk der deutschsprachigen Literatur hat so viel Wirbel erlebt wie Goethes zweiteilige Tragödie „Faust“: Die nunmehr 200-jährige Rezeptionsgeschichte förderte abertausende Kritiken und wissenschaftliche Arbeiten, etliche Referenzen in den schönen Künsten und – nicht zu unterschätzen – jede Menge Kopfzerbrechen bei Schüler:innen und Lehrenden zu Tage. Faust, das ist ein Drama aus der Deutschen Klassik, bei dem ein lebensmüder Wissenschaftler von der Nüchternheit des irdischen Lebens derart gelangweilt ist, dass er dem personifizierten Teufel Mephisto in einem Pakt seine Seele verspricht, sollte dieser es schaffen, Faust einen Moment irdischen Glücks und Liebe zu bescheren. Mit seinem Verlangen nach Lust und Erkenntnis stürzt Faust die Frau Gretchen ins Unglück und zerstört ihr unschuldiges Leben. Es dauert dann noch ein paar weitere Verse – namentlich den gesamten Faust II – bis Faust schliesslich reuevoll erkennt, dass der Lebenssinn der menschlichen Existenz in der Liebe und Verbundenheit zueinander besteht, und dass wir Menschen in der Findung von Wahrheit eben beschränkt und menschlich sind.
Ein schnödes Bildungs- und Gelehrtendrama – oder eher eine farbige Parabel unseres menschlichen Daseins: Grund genug, die Geschichte in Musik zu setzen. Das neue Projekt des Kammerchors Aarau verknüpft in einer dramaturgischen und musikalischen Rundumschau mehrere Werke, die sich des Faust-Stoffs annehmen, und schafft so einen eigenen Zugang zur Thematik. Während in der ersten Konzerthälfte vor allem Musiknummern aus Hector Berlioz‘ Légende-dramatique „La damnation de Faust“ dominieren, erklingen im Epilog ausgewählte Nummern aus Schumanns „Szenen aus Goethes Faust“. Beide Werke stehen gattungsmässig zwischen Stuhl und Bank, weisen sie doch Merkmale einer Oper, einer Chorsinfonie, einer Kantate und eines Oratoriums auf. Bei der Zusammenstellung der Sätze diente die dramatische Gestaltung von Faust I als Vorlage, ergänzt durch den Chorus mysticus, den geläuterten Schlusschor aus Faust II, bei dem Faust den Lebenssinn der Liebe und Verbundenheit schliesslich erkennt. Passend zur literarischen Vorlage werden noch zwei Kunstlieder in der Bearbeitung für Stimme und Orchester eingebettet: einerseits Gretchens Auftrittslied „Es war ein König in Thule“ von Franz Liszt sowie „Gretchen am Spinnrade“ von Franz Schubert (nach einer Bearbeitung von Franz Liszt). Eingeleitet wird das Konzert mit dem dritten Satz aus César Francks Sinfonie in d-moll.
Nach 2019 (Schicksal) und 2021 (Fantasie) wird der Kammerchor Aarau bereits zum dritten Mal vom ASTOR Orchester und Chor begleitet; die erfolgreiche und energievolle Zusammenarbeit erfährt somit eine Neuauflage. Mit der neusten Produktion „FAUST“ kommt ein Projekt zur Aufführung, das die Grenzen von Musikgattungen und Kulturformen aufzuweichen vermag. Starre Werkbegriffe und puristische Werktreue werden aufgeweicht – und es entsteht für alle Beteiligte ein musikalisches Spielfeld. Der Chor schlüpft dabei in die Rolle von zechenden Jungspunden, von strengen Dorfbewohnenden, schliesslich von feinfühligen Gefährt:innen und singt auf Deutsch und Französisch schmissige Marschlieder, verspielte Kanons und elegische Hymnen. Die Aufführung in der neuen Alten Reithalle verspricht einen fulminanten Abschluss eines erlebnisreichen Projekts.